Burkina Faso: In TintilouVon ihrer Reise nach Burkina Faso (13. – 26. Januar 2010) gibt unsere Kollegin Ursula Koch nach ihrer Rückkehr nun einen Bericht. Sie engagiert sich auch im Ruhestand sehr aktiv für das Projekt, das wir wiederholt mit Schulgottesdienstkollekten unterstützt haben:

„Bist du wieder da aus Afrika?“, fragte unser jüngster Enkel erwartungsvoll am Telefon. Er hätte so gern etwas von Löwen und Giraffen gehört, aber ich musste ihn enttäuschen. Ich kann ihm nur von dem Hahn erzählen, der um zwei Uhr nachts unter dem Fenster bereits den Morgen verkündete, unmittelbar gefolgt vom Muezzin, der auch nicht abwarten konnte, bis die Sonne aufging. Ich kann von dem roten Staub erzählen, der sich überall festsetzte, von der für die Jahreszeit selbst in Burkina Faso ungewöhnlichen Hitze. Und von den Menschen.

Bunt gekleidete Frauen empfingen uns singend und tanzend auf dem Missionsgelände am Rande von Ouagadougou – da, wo wir vor 33 Jahren unser einfaches Haus bezogen, um eine Weile mit ihnen zu leben. Im Laufe der Jahre finanzierten wir ihnen gemeinsam mit „Brot für die Welt“ das Gebäude und – fast noch wichtiger – den Garten, in dem die Bedürftigsten unter ihnen ein Beet anlegen konnten.

„Barca, barca!“ – „Danke, danke!“ Unsere alte Freundin Wenkouni schlägt die Trommel. Aus dem Kreis Singenden löst sich eine weißgekleidete Frau und tanzt hingegeben mit ausgebreiteten Armen in dem engen Raum, in dem sich die Hitze des Nachmittags staut. Als einige der Frauen berichten, was sie erreicht haben, erzählt die Fremde (sie stammt offensichtlich aus einem im Norden siedelnden Nomadenstamm) von dem Mikrokredit, den sie erhielt, dass sie einen Straßenhandel begonnen habe und nun als Witwe ihre Kinder ernähren könne. Andere stehen auf und erzählen ihre Geschichten. Eine pflanzt auf dem Beet im Garten Salat, Kohl und Zwiebeln nacheinander an. Mit dem Ertrag des Verkaufs kann sie das Schulgeld für ihre vier Kinder bezahlen. Wir können es kaum glauben.

Burkina Faso: Im Garten der Frauen von TanghinMadame Wendenda, die zusammen mit Wenkouni die Frauengruppe leitet, ist als Großmutter für sechs Schulkinder verantwortlich. Sie strahlt und hört gar nicht auf, uns zu umarmen. Wo die Väter und Großväter sind, brauchen wir nicht zu fragen. Sechzig Witwen gehören zu der Frauengruppe. Und die anderen müssen ihre Kinder allein groß ziehen, weil die Männer ins Ausland gegangen sind oder einfach etwas „Besseres“ gefunden haben. „Es liegt an euch“, sage ich ihnen, „eure Söhne so zu erziehen, dass sie Verantwortung für ihre Familien übernehmen.“ Sie nicken zustimmend.

Ich freue mich. Nicht nur, weil die Frauen so viel aus der Hilfe machen, die sie bekommen, sondern auch, dass sie so offen über ihre Probleme sprechen. Das war nicht immer so. Sie waren stumm unter der Last. Aber die Solidarität in der Gemeinschaft, die Botschaft des Evangeliums hat ihnen eine Sprache gegeben – und uns die Möglichkeit zu helfen. Als wir gehen, sehen wir die Frauen ihre schweren Gießkannen vom Brunnen zu den Beeten tragen.

Burkina Faso: Kindergarten in KoudougouBurkina Faso: Kindergarten in KoudougouIn Koudougou erwarten uns 130 Kinder, die den dortigen Kindergarten besuchen. In Sprechchören begrüßen sie die Gäste aus Deutschland, die solche „großartigen“ Geschenke wie Buntstifte und Bälle im Gepäck haben. Und sie zeigen, was sie gerade lernen. In der mittleren Gruppe haben sie einen Hahn ausgemalt, bei den „Großen“ (Vorschulklasse) geht es schon um die Zahl „Zwei“, die Kleinsten sind mit der Farbe „Gelb“ beschäftigt. Aber es gibt noch viel Wichtigeres, was sie hier lernen: In einem Rollenspiel führen drei Kinder uns vor, was passiert, wenn man sich vor dem Essen nicht die Hände wäscht: „Mir ist ja so schlecht ...!“

Burkina Faso: Kindergarten in KoudougouUnd dann gibt es auf dem Gelände auch noch Latrinen und Papierkörbe!! Bei der Essensausgabe geht es äußerst diszipliniert zu. Hier wird eine Elite herangezogen, die hoffentlich die erlernten Verhaltensweisen in der Gesellschaft weiter verbreiten wird. Mehr als die Hälfte dieser Kinder kommt aus Familien, die nicht genug Geld haben, um den Kindergartenbeitrag aufzubringen. Die Mittel, die wir anlegen, sind eine Investition in die Zukunft. Aufmerksam, offen, ein wenig skeptisch – so sehen die Kinder uns an. Dieser Besuch weckt Hoffnung.

Burkina Faso: HIV-infizierte Kinder in KoudougouEs gibt auch Rückschläge. Fast überall da, wo es um technische Erneuerungen geht, begegnet uns ein Achselzucken: „en panne“, „kaputt“. Selbst eine einfache Getreidemühle in Koudougou ist durch unsachgemäße Behandlung verbunden mit kriminellen Umtrieben nach wenigen Jahren unbrauchbar geworden. Die Frauen, die sie betrieben haben, sind ein Opfer von Korruption und Unterschlagung geworden. Natürlich gibt es Gesetze, die solches Verhalten sanktionieren. Aber nur theoretisch. Und die Leichtfertigkeit und Inkompetenz im Umgang mit der einfachsten Technik gehört zu den größten Entwicklungshindernissen.

Da steht ein Mercedes-Kleinbus auf dem Kirchengelände in Koudougou, den man mit Sicherheit hätte reparieren können. Aber das hat niemand geschafft, und nun wird er nach und nach von Unbekannten „ausgeschlachtet“. Dabei brauchten die engagierten Frauen der regionalen Kirche dringend eine Transportmöglichkeit für die Seminare, die sie veranstalten: Sie vermitteln Kenntnisse in Hygiene, Familienplanung und gesunder Ernährung mit den vorhandenen Mitteln, gleichzeitig erfahren die Teilnehmerinnen eine Wertschätzung, die sie noch nie erlebt haben. In dieser Weise gelebte Solidarität ist für die Bewusstseinsbildung unerlässlich. Aber wie die Frauen zusammenführen aus den kilometerweit voneinander entfernten Stadtteilen und den umliegenden Dörfern? Von einem öffentlichen Personennahverkehr wagt hier niemand zu träumen ...

Burkina Faso: Am Technischen Gymnasium (CET) KoudougouOffene Fragen überall. Sicher ist, dass nicht wir die Antworten finden können. Die praktische Arbeit an dem technischen Gymnasium (CET), das Michel Kabré nach wie vor leitet, ist eine Antwort. Die Schüler lernen, ihre Hände zu gebrauchen, und werden vom Staat geprüft. Die Ergebnisse sind beeindruckend. Enttäuschend ist dagegen das Engagement der teilweise in Deutschland ausgebildeten Lehrer, die noch begreifen müssen, dass sie nicht für sich, sondern für die Entwicklung ihres Landes arbeiten.

Wie idyllisch mutet es dann an, wenn wir auf dem Dorf (Tintilou) unter einem Mangobaum sitzen, Sophie Kabré in ihrer unnachahmlichen Art die mitgebrachten Köstlichkeiten verteilt und an uns vorbei eine ganze Herde Esel über das abgeerntete Hirsefeld zieht. Nicht weit davon steht eine junge Frau und stampft mit kräftigen Armbewegungen die Hirse in einem schon halb zerbrochenen Holzgefäß.

Burkina Faso: In TintilouAber wer genauer hinsieht, erkennt, wie unsäglich mühsam das Leben ohne Strom und Wasser ist, was es bedeutet für die abendliche Hirsebreimahlzeit stundenlang in der Hitze körperlich arbeiten zu müssen und das Wasser aus dem weit entfernten Brunnen herbeizuschleppen. Mit Schrecken sehen wir in die Brunnenlöcher:

Der Grundwasserspiegel ist jetzt schon – im Januar! – kaum mehr zu erkennen. Und es wird erst im Mai – hoffentlich! – wieder kräftig regnen. Nach den schweren Überschwemmungen im letzten September setzte der Regen aus. Der Boden ist völlig ausgedörrt, die Gemüsegärten vertrocknen.

Burkina Faso: Im Ernährungszentrum Ouagadougou – Mütter mit 2 Jahre alten KindernDie Folge davon wird in den sozialen Einrichtungen der Kirche in Ouagadougou erkennbar. Unterernährte Kinder hocken apathisch auf den Armen der Mütter oder weinen ununterbrochen leise vor sich hin. An diesen Orten – dem Ernährungszentrum und dem Krankenhaus „Schiphra“ – wird Schwerstarbeit geleistet. Hier ermöglichen die Gelder unserer Spender das Überleben. Hier machen die Patienten Erfahrungen, deren Verbreitung im Land uns wichtig ist: Jeder Einzelne hat ein Recht auf Hilfe. Sauberkeit und Ordnung sind Voraussetzungen für Effizienz.

Burkina Faso: Die Frauen von DelwendeAuch die angeblichen Hexen aus „Delwende“ kommen ins Krankenhaus „Schiphra“ und werden, da sie über keinerlei Mittel verfügen, kostenlos behandelt. Als wir sie am vorletzten Tag besuchten, wurde daraus noch einmal ein Fest.

Eine Menschenmenge erwartete uns am Eingangstor und durch ein Spalier von bunt gekleideten, singenden und trommelnden Frauen zogen wir auf den Hof. Alle hatten ihre neuen „pagne“ (Wickelröcke) angezogen, die sie zu Weihnachten bekamen, und bedankten sich mit begeistertem Klatschen für die Unterstützung, die sie aus Deutschland erhalten. Sie zeigten uns voll Stolz den nach der Überschwemmung wieder neu angelegten Garten, in dem das Gemüse wächst und gedeiht.

Schwester Maria, die „Delwende“ seit mehreren Jahren betreut, war voll Zuversicht, dass sich im Laufe der Zeit der menschenverachtende Hexenglaube überwinden lasse. Leider hörten wir von anderer Seite eine eher pessimistische Einschätzung der Situation: Okkulte Praktiken nähmen wieder zu.

Afrika – der „verlorene Kontinent“? Das darf nicht sein! Aber nicht wir werden Afrika retten, sondern die Menschen, die vor Ort ihre ganze Kraft dafür einsetzen, Bewusstsein zu ändern und Lebensbedingungen zu verbessern. Wir sind dankbar, dass wir solche Menschen kennen. Und so oft wir auch „Barca, barca“, „Danke, danke“ gehört haben: Wir sind dankbar für die Arbeit, die in Burkina Faso geleistet wird! Ohne unsere Partner vor Ort könnten wir nichts erreichen: Marie-Claire Traoré, Sandrine Traoré, Wenkouni und Schwester Maria in Ouagadougou, Michel und Sophie Kabré, Robert Kaboré, die Frauen der „Association des Servantes de Christ“ in Koudougou und viele andere. Wir haben all denen, die sich in der Hitze, in Staub und Trockenheit abmühen, versprochen, sie nicht im Stich zu lassen. Solange es solche Menschen gibt, gibt es auch Hoffnung für Afrika.

Als wir in Paris landeten, war es sehr kalt.

Ursula Koch

P. S.: Unserem Enkel kann ich immerhin noch erzählen, dass wir auf einem dafür bekannten See im Südwesten des Landes die Nasenlöcher von drei Nilpferden gesehen haben …