
Vom 27. Dezember 2012 bis 11. Januar 2013 besuchte unsere ehemalige Lehrerin und Kollegin Ursula Koch Burkina Faso. Sie bedankt sich für die Kollekte aus unseren Weihnachtsgottesdiensten und berichtet darüber, was sie in Burkina erlebt hat und was mit unseren Gaben dort Hilfreiches geschieht.

Als wir am 11. Januar im abendlichen Berufsverkehr (an jeder der zahlreichen roten Ampeln standen die Mopeds und Motorräder in Zehner-Formationen) durch die brodelnde Stadt zum Flughafen fuhren, nahm Marie-Claire meine Hand und flüsterte: „Die Franzosen haben bombardiert, nicht weit von Mopti ...“ (Mopti in Mali liegt ca. 150 km entfernt von der größten Stadt im Westen Burkinas, Ouahigouya.) In Paris, übernächtigt ausgestiegen, fröstelnd in dem grauen Morgen, trafen uns die Schlagzeilen: „La France en guerre“ – „Frankreich im Krieg“.
Und trotz des Schreckens: Ich war dankbar. – Unvorstellbar, dass die bärtigen „Gotteskrieger“ nach Burkina vordringen, die in leuchtenden Farben gekleideten Frauen, die in all ihrem Elend lachen und tanzen, in Verhüllungen zwingen und in die dunklen Häuser verstecken könnten. Unvorstellbar, dass der Gesang in den Kirchen verklingen müsste und die kleinen Mädchen aus dem Kindergarten vertrieben würden.

Wir haben in diesen Tagen gesehen: Ihr Geld kommt an – bei den Ärmsten. Der Frauen der Kirchengemeinden haben die Familien ausgewählt und Getreide abgewogen – je nach Bedarf und Personenzahl. Eine Frau kam zwei Tage zu früh vom Dorf in die Stadt, sie schlief auf der Straße, bis es endlich so weit war. Manche waren zu schwach, um überhaupt noch den Weg zu schaffen. Die Frauen organisierten den Transport. Aber auch das staatliche „Sozialamt“ in Koudougou hat von der Hilfe profitiert. Als die Not am größten war, hatten die beiden jungen und engagierten Mitarbeiter zwei (!) 100-Kilo-Säcke für die Region zur Verfügung (eine offene Frage: Wo waren die Lieferungen der großen Hilfsorganisationen??). Sie haben uns im sehr offenen und persönlichen Gespräch erzählt: „Da kam Monsieur Kabré, pensionierter Direktor des Collège Technique. Er fragte, wie es bei uns aussähe.“ Es sei ein Wunder des Himmels gewesen, dass sie aus Kabrés Getreidevorräten ihren Bestand auffüllen konnten – denn zwei Säcke – das sei nichts.

Wir fragten nach der Organisation der Verteilung. Trägt der Stärkste am meisten davon? Nein, sie bestellten nie mehr als zehn Familien bzw. deren Vertreter. Ihre Mitarbeiter besuchten vorher den Hof. Gäbe es dort noch Schweine oder Hühner würde die Ration gekürzt...
Damit es überflüssig wird, in den Hungermonaten Getreide zu verteilen, muss etwas geschehen: Die Kinder müssen lernen, lernen, lernen. Sie müssen das Lernen lernen. Und das geschieht ganz früh – in der Vorschule.


Vielleicht ist unter den Kleinen, die sich in Kabrés Kindergarten begeistert um uns drängten, der zukünftige Präsident des Landes? Mit Sicherheit werden diese Kinder die Geschicke ihres Landes bestimmen. Noch spielen und lachen sie wie überall auf der Welt, aber hier sind sie auserwählt: Nur 3% aller Kinder genießen eine Vorschulerziehung. Wir haben viele Fragen gestellt:
Warum werden die einen immer reicher, die Autos immer größer, aber wer im Verkehr verletzt wird, muss die Behandlung im Krankenhaus selbst bezahlen? Woher kommen die Unsummen an Geld, mit denen die Hauptstadt Ouagadougou zur Metropole ausgebaut wird? Aus China? Ist es das Gold, das im Norden abgebaut wird? Keiner weiß eine Antwort.
Und wie werden die imposanten Neubauten in zehn Jahren aussehen? Der Rechnungshof der EU hat festgestellt, dass die mit Milliarden von Europa finanzierten Straßen in Burkina Faso nach vier Jahren saniert werden müssen, weil die einfachsten Instandhaltungsarbeiten nicht durchgeführt und die Lastwagen hoffnungslos überladen sind. Auch da hilft nur: Ausbilden, Bewusstsein schaffen. Lernen, lernen, lernen.
Im Dämmerlicht treffen wir einige der Schüler und Schülerinnen, denen das Schulgeld bezahlt wird. Gleichzeitig erhielten auch ihre Familien im letzten Jahr Nahrungsmittelhilfe, denn mit leerem Magen kann man nicht lernen. Sie überreichen Dankesbriefe und da heißt es in einem:
„Wir werden gut arbeiten in der Schule, damit wir eines Tages einen Arbeitsplatz finden und anderen helfen können.“
Das macht Hoffnung. Doch wir können nichts dagegen tun, dass in den Klassen der viel zu kleinen Grundschulen fast hundert Kinder sitzen. Weniger als die Hälfte schließen die Grundschule ab.

Immer wieder begegnen wir alten Bekannten – und ihren Nöten: Bei Henriette ist ein Stück Mauer um ihren Hof eingestürzt. Einmal, als die Familie aus der Kirche kam, fand sie das Strohdach, unter dem sie ihre Tiere angebunden hatte, die zwei Schafe und die Kuh – verbrannt. Henriette lobt Gott: Das Haus ist nicht angesteckt worden! Uns schaudert es. Henriette ist eine ungeheuer fleißige Frau, die sieben Kinder und zwei Pflegekinder großgezogen hat und es zu einigem Wohlstand brachte. Sie bekommt Geld. Die Mauer muss wieder aufgebaut werden.
Wendtaré ist die Witwe unseres ehemaligen „Angestellten“ Jean. Jean starb im Sommer. Er war dabei, für seine Tochter, die eine tüchtige Schneiderin ist, auf dem Grundstück eine Werkstatt zu bauen. Der Sand und die Ziegel liegen im Hof. Wendtaré zeigt darauf und weint. Jean war so gut zu seiner Familie. Nun sind da die vier Kinder und das adoptierte Mädchen ... Wir werden die Werkstatt bauen lassen.

Wir sind dankbar: Es gab gefährliche Situationen, vor allem im Verkehr in den äußerst betagten Autos, mit denen wir herumgefahren wurden. Es gab einen unbeschreiblichen Sternenhimmel und den Vollmond hinter den kahlen Ästen des Affenbrotbaumes. Und es gab eine Begegnung mit unserer alten Freundin Wenkouni und Oma Wendenda, einer Witwe mit zahllosen Enkeln und Pflegekindern. Ich hatte auch für sie ein kleines Geschenk mitgebracht, über das sie sich so sehr freute, dass sie aufstand und zu Wenkouni sagte: „Du musst jetzt singen, ich will tanzen!“ Wenkouni sang und die alte Frau tanzte auf der Terrasse einen Freudentanz mit hochgereckten Armen zum Lobe Gottes.
Ursula Koch
Am Neujahrstag schickte Frau Koch bereits per Mail einen Gruß aus Burkina-Faso.