Eine jüdische ZeitreiseEine jüdische Zeitreise mit Dany Bober

„Eine jüdische Zeitreise“ nannte Dany Bober sein gut anderthalbstündiges Programm, das zum Ziel einer Exkursion des 12er-Hebräisch-Kurses des Ceciliengymnasiums wurde – „Lied, Bericht, jüdischer Humor“ lautete der verheißende Untertitel. Initiiert worden war die farbenreiche Mischung aus Konzert und Kleinkunst von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, den Rahmen bildete die in Bielefeld schon zur festen Tradition gewordene Woche der Brüderlichkeit, die bundesweit alljährlich vom Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ausgerichtet wird. 

Dany Bober, Jahrgang 1948, lebt seit 1956 in Deutschland, aus dem seine Eltern vor dem Regime der Nationalsozialisten nach Nahariya, heute Partnerstadt Bielefelds, geflüchtet waren. Bober, der schon seit etlichen Jahrzehnten auftritt, singt, spielt und spricht nicht nur Geschichte, sondern auch zahlreiche Geschichten und Anekdoten; jüdischer Humor, der ebenso Ausdruck wohlwollender Selbstironie wie der Tonfall einer Antwort auf die Jahrhunderte der Repression sein kann, steht kontrastiert zu Liedern aus den düstersten Wendepunkten jüdischer Geschichte. Dany Bobers Stimme, mal gebrochen, mal überraschend kraftvoll, immer aber reich an narrativen Nuancen, bringt alle Kapitel gleichermaßen zu Gehör. Die Sprache der Mehrzahl seiner Lieder ist Jiddisch, die dem Deutschen verwandte Sprache der Juden Osteuropas, manchmal aber auch Hebräisch, Deutsch oder Englisch. Zumeist singt Bober gitarrenbegleitet, aber auch alleine vermag seine Stimme den Raum zu füllen.

Eine jüdische ZeitreiseGanz dem Titel gemäß bildet sein Erzählbogen einen Kurzabriss jüdischer Vergangenheit in ihren eindrücklichsten Stationen, vom ersten vorchristlichen Jahrtausend bis hin zur Gegenwart. Mit dem bekannten israelischen Lied „Jeruschalayim schel zahav – Jerusalem, Stadt von Gold“ beginnt Bober, singt von Jerusalem, das als Angelpunkt jüdischer Erfahrung und Hoffnung bis heute wirkmächtig ist. Er streift kurz die Zeit des ersten und zweiten Tempels – zeitlose Dokumente bilden zwei Vertonungen zu Psalm 121 und 149. Die Zeit der Hasmonäer im zweiten vorchristlichen Jahrhundert, Beispiel frühen jüdischen Aufstands gegen Unterdrückung, blieb durch das Chanukka-Fest in lebhaftester Erinnerung, die ihren Niederschlag in einem jener typischen Gesänge der Chassidim findet, einer bis heute lebendigen und nicht weniger lebensfrohen Frömmigkeitsbewegung aus dem jüdischen Osteuropa des 18. Jahrhunderts. Der heimelige, zwinkernde Klang der jiddischen Sprache scheint wie geschaffen für den schnellen, oft getanzten Rhythmus – es wird nicht das letzte Lied dieser Art bleiben. Als einer der berühmtesten talmudischen Gelehrten dieser Zeit lässt Bober Rabbi Hillel zu Wort kommen – in einer der zahlreichen Anekdoten.

Ab dem Jahre 70 beginnt mit der Zerstörung des herodianischen Tempels die Diaspora, für annähernd zwei Jahrtausende Grundsituation des Judentums: „Dortn, Dortn“ heißt das balladeske, leise klagende Stück, das – wieder in jiddischer Sprache, die ebenso melancholisch wie zuvor heiter klingen kann – sich viel später in die Reihe jener Lieder fügen sollte, die die Erfahrung des Vertriebenseins aufgreifen. Bober wechselt den Schauplatz – wie die jüdischen Gemeinden, die sich im größeren Umfang mit den Karolingern in Deutschland ansiedelten, er berichtet von dem mit den Kreuzzügen aufkeimenden fanatischen Antijudaismus, von dem daraus begründeten Weiterziehen des Judentums in die „Schtetl“ Osteuropas, in denen das Jiddische in Vermengung des Mittelhochdeutschen mit dem Hebräischen, Aramäischen und Slavischen entsteht, und schließlich mit dem Chassidismus einhergeht. In „Der Rabbi von Chelm“ singt Bober augenzwinkernd von einer beliebten, urigen Gestalt dieser Bewegung, die als sympathischer Pechvogel Wunder nur zum Vorteil anderer, nicht aber für sich selbst zu wirken vermag. Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts erhält schließlich die Aufklärung Einzug in die große jüdische Gemeinschaft – Bober erzählt aus dem Leben ihres Vorreiters Moses Mendelssohn, bis heute wohl die bekannteste Gestalt dieser Bewegung, nicht zuletzt wegen seiner sich heute noch in regem Gebrauch befindlichen Übersetzung der hebräischen Bibel.

In der Musik findet Bober Zugang zur dunkelsten Zeit jüdischer Vergangenheit, der Shoa: Das Lied von den „10 Meckerlein“ – ohne Gitarre vorgetragen – gibt nur ein Beispiel von nationalsozialistischem Irrsinn; Bober bittet das Auditorium, im Anschluss nicht zu applaudieren. Auch das in Ausdruck und Entstehungsgeschichte einzigartige Lied des Aufstandes im Warschauer Ghetto „Sog' nischt keinmal as di geist dem letztn Weg“ und das in den sechziger Jahren durch Joan Baez und Donovan weltweit bekannt gewordene „Donna Donna“ in seiner düsteren Metaphorik bilden, in der unmittelbaren Situation der „Katastrophe“ („Shoa“) entstanden, beeindruckende wie bedrückende Zeugnisse.

Mit der Nachkriegszeit nähert sich Bober schließlich der Gegenwart, er berichtet Biographisches, als Kind deutsch-jüdischer Remigranten wie auch als langjähriger Mitgestalter christlich-jüdischer Zusammenarbeit (Bober selbst trat schon des Öfteren auf Katholiken- und Evangelischen Kirchentagen auf). Der Abend schließt mit einem weiteren chassidischen Gesang und einem Medley aus verschiedenen Psalmpassagen.