In BerlinAm Donnerstag, 4. Juni 2009, trafen sich in aller Frühe die Schülerinnen und Schüler der Hebräisch-Kurse (auch Ehemalige waren dabei) am Bielefelder Hauptbahnhof, um mit Sack und Pack nach Berlin zu reisen. Dort waren wir bis Sonnabend, 6. Juni 2009, auf jüdischen Spuren unterwegs.

Nach zweieinhalbstündiger Fahrt mit dem Zug kamen wir in Berlin an und brachten unser Gepäck in unsere Unterkunft, den Sophienhof in Berlin-Mitte.

Grabstein für Moses MendelssohnGrabstein für Moses MendelssohnDann machten uns auf den Weg zum Jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße. Dort referierte Fabian ausführlich über Moses Mendelssohn, der auf dem Friedhof bestattet ist. Moses Mendelssohn wurde 1729 in Dessau geboren. Er entstammte einer armen Familie, der allerdings schon früh bewusst war, dass er ein begabter Junge war. So lernte er bei dem Dessauer Oberrabbiner David Fränkel und folgte diesem 1743 allein nach Berlin. Mendelssohn war ein Vertreter der Aufklärung, der Haskala. Er wollte den Juden die deutsche Sprache nahebringen, um ihnen den Eintritt in die deutsche Gesellschaft zu ermöglichen. Dazu übersetzte er den Pentateuch ins Deutsche. Gotthold Ephraim Lessing setzte seinem Freund Mendelssohn in „Nathan der Weise“ ein literarisches Denkmal.

Im Plenarsaal des Deutschen BundestagesAuf der Kuppel des Reichstagsgebäudes: עברית (Ivrit: Hebräisch)Nach diesem Referat fuhren wir mit der S-Bahn zum Deutschen Bundestag. Dort angekommen, bekamen wir zunächst ein leckeres Mittagessen. Anschließend genossen wir den Blick von der Kuppel des Reichstagsgebäudes auf die Stadt.

Im Plenarsaal wurden wir mit der Geschichte des Gebäudes und der Arbeitsweise des Bundestages vertraut gemacht. Mit Mitarbeitern der Bielefelder Abgeordneten Lena Strothmann führten wir ein Informationsgespräch über die vielfältige Arbeit einer Abgeordneten.

Synagoge RykestraßeIn der Synagoge Rykestraße, der größten Synagoge Deutschlands, hatten wir eine Führung und bekamen so weitere Informationen über Synagogen im Allgemeinen und über die verschiedenen Synagogen in Berlin im Besonderen.

Auf dem Weg zum Jüdischen Friedhof in WeißenseeAm Freitag, dem 5. Juni, besuchten wir zuerst den Jüdischen Friedhof in Weißensee. Matthias informierte uns vor Ort zunächst über jüdische Friedhöfe im Allgemeinen und ging dann näher auf den Friedhof Weißensee ein, der am 9. September 1880 eingeweiht wurde. Er ist mit ca. 115.000 Gräbern der größte jüdische Friedhof Europas.

Verschiedene Bezeichnungen, die im Judentum für Friedhöfe gebraucht werden, spiegeln die Einstellung zu Sterben und Tod: Haus der Gräber, Haus des Lebens und ewiges Haus. Auf jüdischen Friedhöfen ist ein Grab für immer angelegt. Die Toten sind so beerdigt, dass sie mit dem Haupt nach Jerusalem (nach Südost) liegen. Für Juden ist der Friedhof ein Ort des Lebens. Der Grabstein, auf dem der Name des Toten und der Name des Vaters des Toten zu lesen sind, wird erst am Ende des ersten Trauerjahres aufgestellt.

GedenkenBeerdigte ThorarollenDie Zeit des Nationalsozialismus überstand der Friedhof in Weißensee im Wesentlichen ohne Schäden. Allerdings wurden während des Zweiten Weltkriegs 4000 Steine durch Bomben zerstört. Immer wieder gab es Grabschändungen – auch in der jüngeren Vergangenheit. Zur Erinnerung an die ermordeten Juden gibt es am Eingang des Friedhofs mehrere Erinnerungstafeln, auf denen die Namen der größten Konzentrations- und Vernichtungslager zu lesen sind. Die Tafeln wurden 1953 aufgestellt. 1992 wurde zusätzlich eine Urne mit Asche von Toten aus Auschwitz in der Mitte der Tafeln versenkt. Auf dem Friedhof gibt es ein Grab für geschändete Thorarollen. In diesem Grab sind ungefähr 90 Rollen beerdigt worden.

Auf dem Jüdischen Friedhof in WeißenseeAuf dem Jüdischen Friedhof in WeißenseeDer Eindruck, den der Besucher vom Friedhof hat, ist überwältigend. Es gibt viele Gräber, die auf den ersten Blick schmucklos, bei genauerem Hinsehen aber sehr schön wirken. Auf dem ganzen Friedhof wächst Efeu. Dies steht für Hoffnung und Ewigkeit.

 

 

Viele bekannte und berühmte Persönlichkeiten sind in Weißensee bestattet. So besuchten wir u. A. die Gräber von Samuel Fischer, dem Gründer des Fischer-Verlages, und Stefan Heym.

Grab von Samuel Fischer Grabstein für Stefan Heym

Neue SynagogebNeue SynagogeAnschließend fuhren wir zum Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße. Die Neue Synagoge, in der sich das Centrum Judaicum befindet, beeindruckt mit ihrer architektonischen Gestaltung, die vom maurischen Stil inspiriert ist, und ihrer großen goldenen Kuppel, die von Besuchern besichtigt werden kann. Von dort oben hat man einen tollen Rundblick über Berlin.

 

 
 

Neue Synagoge

Im 19. Jahrhundert war für die Berliner jüdische Gemeinde aufgrund des starken Zuzugs von Juden eine neue Synagoge nötig. König Friedrich Wilhelm IV. wollte eine Synagoge für die jüdische Gemeinde in Kreuzberg errichten, was diese jedoch aufgrund der Entfernung ablehnte. Denn viel der Berliner Juden wohnten in der Spandauer Vorstand – zu weit von Kreuzberg entfernt. Eduard Knoblauch arrangierte 1857 einen Architekturwettbewerb, bei dem jedoch kein geeigneter Architekt für die Synagoge gefunden wurde. Deshalb übernahm Knoblauch diese Aufgabe selbst. Die Fertigstellung der Synagoge in der Oranienburger Straße erfolgte 1866.

In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, in der viele Synagogen angesteckt, jüdische Menschen verfolgt und verschleppt sowie viele jüdische Geschäfte zerstört und viele Thorarollen geschändet wurden, passierte in der Synagoge in der Oranienburger Straße ein kleines Wunder. Der Polizist Wilhelm Krützfeld stellte sich vor die Synagoge, um sie vor der SA zu schützen. Und die Synagoge wurde wirklich nicht weiter zerstört. Nach einem letzten Gottesdienst im Jahre 1943 wurde das Gebäude von der Wehrmacht als Uniformlager genutzt. Allerdings brannte sie 1943 nach einem Bobenangriff fast vollständig aus.

Heute befindet sich in dem Gebäude das Centrum Judaicum mit einer Ausstellung zur Geschichte jüdischen Lebens in Berlin, die viele Dokumente und andere interessante Dinge zeigt.

Blindenwerkstatt Otto WeidtNach dem beeindruckenden Besuch in der Synagoge nahm Tom uns mit auf einen Stadtspaziergang der besonderen Art. Fast 1000 Jahre jüdischen Lebens konnten wir miterleben. Eine Station war unter anderem die Blindenwerkstatt von Otto Weidt. Hier beschäftigte dieser im Zweiten Weltkrieg blinde und taubstumme Menschen. Seine Fabrik in der Rosenthaler Straße 39 wurde als „kriegswichtig“ eingestuft, deshalb wurden zunächst keine Übergriffe auf seine jüdischen Mitarbeitern verübt. Als es auf das Kriegsende zuging, sollten allerdings doch einige seiner Mitarbeiter deportiert werden, die er jedoch von der Sammelstelle zurückholte. Viele Menschen verdanken Otto Weidt, einem Gerechten unter den Völkern, ihr Leben.

Als nächstes führte Tom uns erneut zur Synagoge in der Oranienburger Straße. Danach besuchten wir den ältesten Friedhof Berlins in der Großen Hamburger Straße, der 1671 eröffnet wurde. Er ist 0,59 Hektar groß und begraben liegen auf ihm über 12.000 Menschen. 1827 wurde der Friedhof geschlossen. Hier ist der berühmte Philosoph Moses Mendelssohn (1729 - 1786) beerdigt. Die Gestapo zerstörte den Friedhof und nutzte die Grabsteine, um Splittergräben zu bauen.

Große Hamburger Straße: Mahnmal an der DeportationssammelstelleVor dem Friedhof ist ein Mahnmal von Will Lammert (1957) installiert, das an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Man sieht Menschen verschiedener Größe, verschiedenen Alters und Geschlechts. Dort, wo heute das Mahnmal steht, war vor der NS-Zeit ein jüdisches Altersheim. Während der NS-Zeit wurde dieses als Deportationszentrum genutzt. Auch daran soll das Mahnmahl erinnern. Seit 1996 werden jedes Jahr am Gedenktag der Schoah die 55.696 Namen der ermordeten Berliner Juden verlesen.

Unsere nächste Station war die Jüdische Oberschule. 1778 wurde die jüdische Freischule gegründet. Dies war die erste Schule, die religiöses und weltliches Wissen bündelte und gemeinsam vermittelte. Seit 1863 befindet sich die Schule an der Großen Hamburger Straße. Eine Büste von Moses Mendelssohn wurde 1941 zerstört. 1993 wurde die Jüdische Oberschule neu eingeweiht.

KolboDann erfuhren wir etwas über Addas Jisroel, die neoorthodoxe Gemeinde. 1869 wurde Addas Jisroel gegründet, weil nicht alle Juden liberal sein wollten. 1904 wurde das Zentrum in der Tucholskystraße zerbombt, woraufhin es 1967 abgerissen wurde. 1990 wurde dann eine Synagoge errichtet. Und heute hat die Gemeinde mit 250 Mitgliedern ein eigenes Café und einen koscheren Laden.

Mahnmal für die ermordeten Juden EuropasUnsere letzte Station am Freitag war das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. Der Ort der Information, der unterirdisch liegt, war sehr beeindruckend. Doch zuerst fielen uns natürlich die 2.711 – bis zu 4 Meter hohen – Stelen auf. Auf einer Fläche von 19.073 Quadratmetern sind diese verschieden hohen und in verschiedene Winkel geneigten Stelen installiert. Das Mahnmal wurde zwischen 2003 und 2005 nach dem Entwurf von Peter Eisenman in der Nähe des Brandenburger Tors erbaut.

Mahnmal für die ermordeten Juden EuropasIm unterirdischen Informationszentrum gibt es sechs Räume mit unterschiedlichen Themen (Selbstzeugnisse, Familienschicksale, Einzelschicksale, Orte des Verbrechens und Aktuelles zum Thema). Am meisten beeindruckt hat mich der Raum der Namen, in dem an allen vier Wänden jeweils der Name eines Opfers der Schoah projiziert wird. Der ganze Raum ist dunkel und die Namen, die in weißer Schrift zu lesen sind, stechen so umso mehr heraus. Zusätzlich werden, wenn bekannt, Geburts- und Sterbedatum eingeblendet. Eine Stimme nennt zuerst auf Deutsch und dann auf Englisch wichtige Fakten aus dem Leben des Toten (zum Beispiel Wohnort, Beruf, Familie…). Dies ist sehr beeindruckend, es hat mir eine Gänsehaut über den Rücken gejagt.

Jüdisches Museum BerlinAm Sonnabend, dem letzten Tag unserer Exkursion, hatten wir einen großen Programmpunkt: das Jüdische Museum. Dort genossen wir eine Führung durch das interessante von Daniel Libeskind entworfene Gebäude, das im September 2001 eröffnet worden ist.

Die Führung begann unterirdisch mit den drei Achsen: der Achse der Kontinuität, der Achse des Exils und der Achse des Holocaust. Das Gefühl im Keller des Gebäudes war für uns alle bedrückend, die Decken sind niedrig und man hat das Gefühl, die ganze Zeit schief zu stehen.

Garten des ExilsAus der Achse des Exils gingen wir in den Garten des Exils. Dort stehen hohe Betonsäulen, in die Ölbäume gepflanzt sind. Diese ganze Konstruktion ist schief gestellt. Geht man nun durch diesen Garten, ändert sich mit jeder Richtungsänderung auch der Winkel, in dem man zum Boden gerichtet ist. Wir alle fühlten uns unwohl, denn wir wussten außerdem nie, was uns hinter der nächsten Ecke erwartet. Froh, von diesem Gefühl erlöst zu sein, erklärte uns die Mitarbeiterin des Museums, dass dieser Garten die Gefühle und Ängste der Juden zeigen soll, die geflüchtet sind, um der Vernichtung zu entgehen – Gefühle wie „Wem kann ich vertrauen?“, „Was passiert als nächstes?“ oder „Wird mir der Boden unter den Füßen weggerissen?“

Jüdisches Museum Berlin: Moses MendelssohnJüdisches Museum Berlin – Alephbet: AschkenasNach dieser Erfahrung war uns allen klar, wie schrecklich es sein muss, solchen Gefühlen ausgesetzt zu sein. Über eine lange Treppe kamen wir dann in den eigentlichen Ausstellungsraum. Wir hörten im Folgenden Wichtiges über Moses Mendelssohn, dessen Grab wir ja schon besucht hatten.

Jüdisches Museum Berlin: Tradition und WandelAnschließend hatten wir noch reichlich Zeit, das Museum allein zu erkunden. Dort ist die deutsch-jüdische Geschichte von zwei Jahrtausenden dokumentiert und es gibt viele interessante Ausstellungsstücke. Außerdem gibt es einige Dinge, die der Besucher interaktiv mitgestalten kann, z. B. ein Spiel „Wärst du ein guter Jude?“

Jüdisches Museum Berlin – Sonderausstellung: Tel AvivEs gab auch eine Sonderausstellung: „Tel Aviv – Durch die Linse von Magnum-Fotografen“. Verschiedene Ansichten von Magnum-Photographen aus der hundertjährigen Geschichte von Tel Aviv wurden gezeigt.

Die Sonderausstellung „Tödliche Medizin“ behandelte das Thema Euthanasie und Zwillingsexperimente. Es war schockierend zu sehen, wie sich das pseudowissenschaftliche Rassedenken im Nationalsozialismus darstellte.

Mittags trafen wir uns, um uns gemeinsam die „Snack-Box“ des Museums abzuholen. Zu essen gab es also für uns am Sonnabend typisch israelische Köstlichkeiten, wie Falafel, Pita, Datteln und Co.

Um 18.45 Uhr trafen wir uns am Gästehaus, um unser Gepäck abzuholen, um 19.48 fuhr unser ICE – und als wir zu Hause angekommen waren, waren wir erschöpft, aber auch etwas traurig, dass die Zeit in Berlin so schnell vergangen war.

Alles in allem hatten wir viel Programm und wenig Schlaf, aber es hat sich gelohnt, auf jüdischen Spuren in Berlin unterwegs gewesen zu sein!

 

Eine kostenlose Audioführung durch Berlin zu jüdischer Vergangenheit, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit gibt es bei HÖRPOL. 27 Hörstücke, die als mp3-Dateien heruntergeladen werden können, führen durch das Zentrum der Hauptstadt.