Kirchentag in Hamburg

Unser Schülerreporter Andreas Wiljes berichtet über den 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hamburg (1. - 5. Mai 2013)

Mittwoch

Mit ca. einer Viertelstunde Verspätung fuhr ich am Mittwoch gegen halb 9 zusammen mit dem Jugendkreis der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde nach Hamburg los. Wir waren früh dran und so war die Viertelstunde kein Drama. Alle waren gut gelaunt und die Busfahrt verlief reibungslos, denn das Wetter war gut und wir kamen in keinen großen Stau. Lediglich vor der Ausfahrt Garbsen hatten wir eine kurze Stop&Go-Phase, doch diese war baustellenbedingt und somit auch zu verkraften. Als wir ankamen, brachten wir erst einmal das Gepäck in unserer Schule, dem Immanuel-Kant-Gymnasium unter. Dort sollten wir auch schlafen. Nach einer kurzen Erkundungszeit in Hamburg, wo ich erste Eindrücke über die Ausmaße des Kirchentages sammeln durfte und ich mir meinen Presseausweis nach diversem Rumfragen bei verschiedenen Stellen endlich abholen konnte, besuchte ich den Eröffnungsgottesdienst am Fischmarkt.

Eröffnungsgottesdienst

Dort moderierte Gerd Spiekermann. Es wurden einige Lieder gesungen und der gesamte Gottesdienst wurde in Gebärdensprache übersetzt. Der Gottesdienst stand natürlich unter der Kirchentagslosung „So viel du brauchst" (2. Mose 16, 18) und der biblische Kontext, als das Volk Israel durch die Wüste zog, wurde genauer erläutert. Dazu bekamen die Gottesdienstbesucher sogenannte Wundertüten, in denen sich eine Handvoll Sand befand, damit man auch etwas mitfühlen konnte. Das Thema Barrierefreiheit wurde ebenfalls angesprochen, denn das betrifft nicht nur Menchen, die mit einer Behinderung geboren wurden, sondern auch ältere Menschen, die beispielsweie nicht mehr richtig hören/sehen können etc. Der Gottesdienst bekam durch Pfarrer Peter Henrik Skov-Jakobsen eine skandinavische Note, der die deutsch gesprochenen Texte z. T. übersetzte. Als letzter Punkt wurde noch die Symbolik des Fischs erklärt, der am Fischmarkt nun einmal Programm ist. Der Fisch kommt in der Bibel bei der Speisung der 5000 vor, als Jesus Brot und Fische vermehrt. Zudem ist er Symbol des Abendmahls in der evangelischen Kirche.

Abend der Begegnung

Der Abend der Begegnung war für mich ein besonderes Highlight. Hier konnte man verschiedenen musikalischen Beiträgen lauschen, essen und trinken oder an einer Kirchentagsaktion teilnehmen, bei der das Ziel war, von allen 8 Ständen der Nordkirche Bänder zu sammeln und diese am Ende zusammenzubinden. Dies führte zu einer Tauschaktion unter allen, die zwar einige, aber nicht alle Bänder gesammelt hatten, und noch die restlichen suchten. Das stärkte die Gemeinschaft und Menschen lernten sich schneller kennen.

Zum Schluss des Tages genossen wir den Abendsegen und das folgende Lichtermeer, bei dem alle anwesenden Besucher eine Kerze in eine Papiertüte stellten, anzündeten und die Kulisse unter zehntausenden Kerzen genossen. Dies war besonders schön und gleichzeitig der Abschluss des Mittwochs. 

Donnerstag

Bibelarbeit von Margot Käßmann

Der Donnerstag begann für mich gleich mit zwei Großveranstaltungen. Um 9.30 Uhr hielt Margot Käßmann eine Bibelarbeit vor etwa 7000 Menschen, bei der es um das Gleichnis vom ungerechten Richter (Lukas 18, 1-8) gehen sollte. Margot Käßmann sprach über Gerechtigkeit allgemein und darüber, dass es sich lohne, dafür zu nerven, so wie es die Witwe in der biblischen Geschichte tut. Im Zentrum stand die Aufforderung zu beten und dass es sich lohne, „Gott zu nerven“ und nicht aufzuhören zu beten. Nach jedem Bibelarbeitsteil las Käßmann ein Gedicht von Dorothee Sölle vor, wobei in einem der Satz „Bewahre uns vor Harmoniesucht“ vorkam. Dazu sagte sie, dass eine Freundin immer meine, sie sei nicht gerne Protestantin, denn das klinge immer so nach Streit. Doch genau das ist der Punkt. Christen sollten nerven oder manchmal sogar streiten, um Gerechtigkeit durchzusetzen. Denn Nerven führe zu Aufmerksamkeit und diese manchmal zu Gerechtigkeit. Margot Käßmann sprach weiter davon weiter, dass wir verantwortungsvoll einkaufen müssten. Wir sollten nicht schauen, alles möglichst günstig zu bekommen, sondern lieber Wert auf fairen Handel legen, sonst erführen wir Nachrichten wie die von dem eingestürzten Haus in Bangladesh und von den vielen Toten und Verletzten in Zukunft vermutlich häufiger. Frau Käßmann wörtlich: „Christen sollen sich nicht an Zahlen messen, sondern am lebendigen Glauben!“

Joachim Gauck und Samuel Koch

Im Anschluss an die Bibelarbeit kamen dann Bundespräsident Joachim Gauck, Samuel Koch, der vor Kurzem in der Fernsehshow „Wetten, dass...“ schwer verunglückte und seitdem querschnittsgelähmt ist, Monika Labruier, eine Inklusionsdienstleistende, und Rainer Schmidt, Paralympics-Sieger und evangelischer Pfarrer, auf die Bühne und diskutierten zum Thema „Was braucht eine starke Gesellschaft?“. Markus Lanz moderierte. Auf der einen Seite bestand eine lockere und witzige Atmosphäre, es wurden viele Witze gemacht und Rainer Schmidt, der keine Hände hat, sondern nur an einer Hand einen Daumen besitzt, sagte über sich selbst: „Handwerker wird der bestimmt nicht.“ Und er fragt manchmal Leute: „Darf ich mir mal Ihre Hände leihen?“ Samuel Koch sagte zu der Begrüßung zwischen ihm und Rainer Schmidt: „Wir haben so komisch gekuschelt.“ Alles in allem also eine schöne und witzige Atmosphäre.

Lebenshilfe-Band Inklusion

Auf der anderen Seite wurden aber auch sehr ernste Themen wie „Inklusion“ und „Gleichberechtigung“ angesprochen. Einer nach dem anderen erzählte, wie er oder sie Inklusion erfährt, fördert oder allgemein findet. Alle waren sich einig, dass Inklusion weiter gefördert werden sollte, und stellten vor allem die positiven Aspekte heraus. Lediglich Koch betonte einmal, dass Inklusion nicht immer funktioniere und wenn sie nicht funktioniere, könne sie auch einen negativen Effekt auf alle Beteiligten haben. Der prägnanteste Satz von Markus Lanz war: „Es ist normal, verschieden zu sein.“ Während dieser Diskussion spielte eine Band aus der Lebenshilfe, die ausschließlich aus Menschen mit Behinderungen bestand. Sie spielten und sangen sehr fröhlich und wurden zum Schluss sogar zu einer Zugabe aufgefordert.

Kabarett

Ich führte mein Programm nicht wie erwartet zu Ende, sondern machte nachmittags eine Pause, um an meinem Bericht weiterzuschreiben, die Natur und das Wetter zu genießen. Am Abend besuchte ich dann den Riekhof in Hamburg-Harburg, wo das „Klerikale Kabarett Komando“ (K3) für Unterhaltung sorgte. Das Motto des Abends lautete „Reformation oder Außer Thesen nichts gewesen?“. Neben einigen Anekdoten zum aktuellen Fußball („Judas...ähh Mario Götze“) verdrehten die beiden Kabarettisten die Worte Luthers auf eine lustige und geradezu absurde Weise. Die Protestanten standen an diesem Abend im Zentrum und es wurden einige Witzeleien über andere Konfessionen und Religionen gemacht, von A wie Anthroposophen bis Z wie Zeugen Jehovas kamen alle mal dran. Insgesamt ein lustiger, aber manchmal auch etwas monotoner Abend, denn die beiden brachten vermeintliche Zitate Luthers immer auf dieselbe Art und Weise, wodurch es fast etwas langweilig wurde. Trotzdem würde ich sagen, dass dieser Tag mehr als gelungen war.

Freitag

Wieder zog ich früh los, um mir eine Bibelarbeit anzuschauen. Diesmal war es eine Dialog-Bibelarbeit mit Frank-Walter Steinmeier und Eckhard Nagel. Die Frau, die die Bibelarbeit anmoderierte, sagte über Eckhard Nagel, dass sie es vorziehe, die vielen akademischen Titel, die Eckhard Nagel besitzt, lieber nicht mit auszusprechen, da dies den Rahmen sprengte. Dasselbe werde ich auch tun. Die Bibelarbeit handelte vom Erlassjahr, das in 5. Mose 15 beschrieben wird. Zuerst gingen die beiden auf den historischen Kontext ein und übertrugen diesen dann auf die heutige Zeit. Steinmeier beschrieb den Glauben als „die Kraft der Veränderung“ und meinte, dass dieser heute sehr wichtig sei. Kritisiert wurde, dass man dem Ausländer nichts erlassen solle. Steinmeier war der Ansicht, dass wir auch anderen Nationen Solidarität entgegenbringen sollten. Er machte dies an der schlechten finanziellen Situation von Italien, Portugal und Spanien deutlich. „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." – Diesen Satz kennen die meisten Menschen aus dem „Vater unser“. Dieser Satz wurde noch einmal aufgegriffen und Eckhard Nagel leitete über zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Er sagte, dass wir mehr so wie dieser Samariter werden und unseren Feinden helfen müssten. Dazu erzählte er noch eine Geschichte aus seiner Zeit als Arzt, als er einen Patienten, der eine kleine, aber schmerzhafte Verletzung hatte, und den er nicht mochte, lieber später behandeln wollte. Nagel sei aber von seinem Chef zurechtgewiesen worden. Die Hauptaussage war, dass wir „Jesus folgen sollen in seiner umfassenden Menschenliebe“.

Internationale GartenschauInternationale Gartenschau

Nach der Bibelarbeit machte ich mich schnell auf, um Angela Merkel zu hören, wurde aber trotz Presseausweis nicht in den Pressebereich gelassen, da die Halle schon zu überfüllt war und so entschied ich mich gegen diese Veranstaltung und machte mich zur Internationalen Gartenschau (IGS) auf. Dort angekommen, bot sich mir ein wunderschöner Anblick. Tausende Blumen werden in 80 Gärten zur Schau gestellt. Daher ist auch das Motto „In 80 Gärten um die Welt“ einfach zu verstehen. Die Gärten sind in einzelne Welten unterteilt, wie z. B. die Welt der Religionen, die Welt der Kulturen oder auch die Wasserwelt. Pflanzen, die nur in der Wüste wachsen, werden gezeigt und es gibt das Haus des Waldes. Für alle Pflanzenfreunde ist die IGS in Hamburg also ein absolutes Muss und ich kann nur noch einmal unterstreichen, wie wunderschön der Anblick war.

Gospel FamilyGospel Family

Am Abend folgte ich dann wieder meinem Programm und besuchte „Das große Wise-Guys-Konzert". Doch was als ‚groß’ angepriesen wurde und von 19 bis 22 Uhr gehen sollte, entpuppte sich zu einem eher geringen Anteil als die Wise Guys selbst. Zuerst war da die Gospel Family, die als Vorband etwa eine Stunde sang und spielte. Dann wurde viel Werbung für die Kindernothilfe gemacht und betont, wie wichtig es sei, Bildung zu bekommen. Trotzdem waren die Stimmung und das Wetter gut und zum Schluss konnte man die Wise Guys noch mit Liedern wie „Leise“ und „Lauter, Lauter“ hören. Die Fans fingen mit Gesängen wie „Hallo, hallo, ich bin dein Ohrwurm“ an, einem Klassiker der Wise Guys, und wollten zum Schluss eine Zugabe, die sie aber leider nicht bekommen sollten. Nach dem Konzert gingen die meisten in Richtung Bahnhaltestelle und mussten wie erwartet eine Weile warten, denn die anwesenden ca. 65000 Menschen passen nicht alle gleichzeitig in eine Bahn. Trotzdem gab es keine negativen Erlebnisse, sondern alle waren recht fröhlich und begannen auf dem Weg sogar zu singen. 

Samstag

Eckhardt von Hirschhausen

Prominenz war auch heute wieder in der Messehalle B5, nämlich Dr. Eckhardt von Hirschhausen. Er hielt eine Bibelarbeit zur Speisung der 5000 (Johannes 6). Während man in der Halle noch wartete, stimmten einige Leute wieder ganz unabgesprochen verschiedene Lieder an. Als Hirschhausen auf die Bühne kam, stellte er schnell das zentrale Thema heraus: Teilen und Dankbarkeit. Jesus danke für die Brote und die Fische und teilte sie dann den 5000 Menschen aus. Er versuchte dies praktisch anzuwenden, ließ Rosinen an alle 7000 Menschen verteilen und führte sozusagen damit die „Speisung der 7000“ durch, und versuchte zu zeigen, wie sehr man auch durch wenig satt werden kann, wenn man das Essen genießt und nicht einfach herunterschlingt. Man solle mit Dankbarkeit genießen. Hirschhausen sieht die Dankbarkeit als Schlüssel gegen Hunger, ob in Bezug auf Essen oder die geistliche Nahrung. Verbunden wurde die Bibelarbeit von einigen Liedern wie „Wunder gibt es immer wieder“ oder „Komm, sag es allen weiter“. Zu dem Effekt der Dankbarkeit auf den Hunger komme noch der Effekt auf die psychische Situation von Menschen. Wenn man Menschen danke, sei es bei einem Lokführer, der in Rente geht, dafür dass er die Lok so lange gefahren ist, halte dies von Depressionen fern und mache Menschen glücklicher.

KonfessionsvielfaltKonfessionsvielfalt

Am Vormittag folgte dann die Podiumsdiskussion zum Thema „Tradition und Konfession – Was glaube ich und warum?“. Verschiedene Konfessionen wurden angesprochen, wie bei ihnen das Verhältnis zwischen Tradition und Bibel ist und welchen Stellenwert diese in ihren Gottesdiensten hat. Paul Metzger, Catholica-Referent, sprach allgemein darüber, wie in einzelnen Konfessionen das Verhältnis von Schrift und Tradition ist, und im Anschluss setzten sich Menschen aus diesen Konfessionen zusammen und diskutierten darüber. Es kamen die protestantische, katholische, Waldenser, baptistische und griechisch-orthodoxe Konfession zu Wort. Insgesamt waren alle der Meinung, dass die Förderung der Ökumene sinnvoll sei und Konfessionsgrenzen eher hinderlich als förderlich seien. 

Abends bot sich für mich die Möglichkeit, eine Lesung zum Thema Nine-Eleven „Religion und Gewalt“ anzuhören. Es kam die Frage auf, was das Böse sei, ob man dies verallgemeinern könne. Leicht werden Muslime in ein Bild des Terroristen gedrängt. Seit dem 11. September 2001 gibt es ein solches Vorurteil. Dargestellt wurden Leid und letzte Gespräche zwischen Menschen im World Trade Center und den Verwandten, Freunden und Liebsten außerhalb. Hinzu kam die sogenannte Theodizeefrage: Warum lässt Gott ein solches Leid zu? Warum ich? Die Schwierigkeit, den Menschen zu sagen: „Es war Gottes Plan, deine Liebsten in die Luft zu sprengen“, wurde ebenfalls thematisiert. Gibt es einen Gott? Viele Menschen zweifeln in Leidsituationen an Gott und glauben nicht mehr so, wie sie es vorher taten. Wie kommt man durch das Leid, ohne so sehr an Gott zu zweifeln?

Mit diesen Überlegungen und tiefgehenden Gedanken beendete ich den letzten offiziellen Tag des DEKT und ging nach Hause, um meine Sachen zu packen.

Sonntag

Heute stand nur noch der große Abschlussgottesienst an, der im Stadtpark stattfinden sollte und zu dem ca. 120.000 Menschen kamen. Ein langer liturgischer Einstieg, viele Lieder und Texte aus Micha 4 und dem Lukasevangelium durchzogen diesen. Zum Abschluss gab es noch offizielle Einladungen zum 99. Katholikentag in Regensburg vom 28.05. - 01.06.2014 und zum 35. DEKT in Stuttgart vom 03.06. bis 07.06.2015.

 

Free Hugs

Abschließend kann ich sagen, dass es eine interessante Zeit war, in der ich viele nette Leute getroffen habe. Mein Eindruck war, dass alle freundlich waren, einige liefen umher mit Schildern, auf denen stand: „Freie Umarmungen“ oder „Bitte lächeln“, was auf Anhieb gute Laune machte, und man fand immer Veranstaltungen, die einen auf die eine oder andere Weise ansprachen. Wenn Sie also Gemeinschaft und viele Menschen mögen, gehen Sie zum Kirchentag! Dort werden Sie auf jeden Fall nicht zu kurz kommen. Dazu kommen theologischer, kultureller oder auch thematischer Tiefgang. Einzige Empfehlung: Man muss sehr früh da sein, um bei den großen Veranstaltungen dabei sein zu können. 

www.kirchentag.de

Texte zum Nachlesen: Manuskripte von Redebeiträgen